Klaviersonate c-Moll Op. 111, 1. Satz
Textgenetische Informationen zur Variantenstelle S. 14/17 des Arbeitsmanuskripts (Beethoven-Haus, Bonn, BH 71)
Info: Alle Varianten werden ihrer Chronologie nach mit
Buchstaben benannt. Bei allen geschlossenen Varianten, d.h. Varianten, die
zwei Anschlussstellen besitzen und somit kontextintegriert sind, wird ein
Großbuchstabe, bei allen offenen Varianten, die nur eine Anschlussstelle am
Anfang besitzen und sich dadurch von den geschlossenen unterscheiden, ein
Kleinbuchstabe verwendet.
Auf Seite 14 der Werkniederschrift lassen sich mehrere Textschichten und
Arbeitsspuren erkennen. Einige Takte sind mehrfach überarbeitet oder
gestrichen worden. Die Umarbeitung dieser Takte im Zuge einer Revision
lagert Beethoven aufgrund von Platzmangel auf Seite 17 des Autographs aus.
Darauf weist ein „Vi=“ am Ende des Taktes 131 hin. Das Gegenstück „=de“, das
die Anschlussstelle markiert, findet sich auf S. 17. Ein durchkreuzter Kreis
am Ende der dort ausgelagerten neuen Takte verweist auf sein Pendant vor
Takt 135 auf S. 14. Anhand der Erschließung und Verknüpfung aller Befunde
und Indizien kann die Entstehung dieser Variantenstelle rekonstruiert
werden.
Variante a (T. 132a)
Eine erste Variante a wurde nicht vollständig ausgeführt, was am leer
gebliebenen System der linken Hand erkennbar ist.
Variante b (T. 132b)
Eine kleine Veränderung der Variante a, in der Beethoven die letzte Note
fis’’ durch es’’ ersetzt, konstituiert Variante b.
Variante c (T. 132c)
Nach der Streichung des Taktes 132a/b setzt Beethoven neu an. Obwohl die Note
c’’’’ in der rechten Hand wie eine Viertelnote geschrieben ist, ist nicht
klar, welche Rhythmik Beethoven dafür vorgesehen hat. Das „loco“ hebt die
Oktavierung ab der ersten Sechzehntelnote es’’’ auf. Die linke Hand steht im
Violinschlüssel (s. T. 131), sodass rechte und linke Hand dasselbe spielen.
Deshalb nimmt er eine weitere Überarbeitung des Taktes vor.
Variante d (T. 132d)
Beethoven wechselt das Schreibmittel von der Tintenfeder zum Bleistift, um
zunächst den Melodieverlauf der rechten Hand zu skizzieren. Dabei sind die
ersten beiden Sechzehntelgruppen nur als Notenkopf mit -hals notiert. Die
erste Sechzehntelgruppe wird mit der Oktavierungsvorschrift („8va“)
versehen. Die zusätzliche „8“ vor „8va“ notiert Beethoven, um zu
kennzeichnen, dass auch die nun in die Sechzehntelgruppe integrierte Note
c’’’ aus Variante c oktaviert wird. Das „loco“ aus Variante c gilt hier ab
der zweiten Sechzehntelgruppe. Die linke Hand in Variante d ist bei der
Neukonzeption gedanklich bereits gestrichen, weshalb sie in der
Sichtbar-Machung im Faksimile keine farbliche Hervorhebung erfährt und in
der Transkription das System der linken Hand leer bleibt.
Variante E (T. 132E–133E)
Die mit Bleistift skizzierte Variante d übernimmt Beethoven und überschreibt
die frühere, mit hellerer Tinte notierte Variante c mit einer dunkleren. Die
linke Hand passt er an. Die dichten Streichungen innerhalb des Taktes 132E
entstanden zu diesem Zeitpunkt. Die Takte 132E–133E schließen an den ersten
vollgültigen Takt 135 an und der Textfluss führt von dort bis zum Ende des
Satzes. Die Tilgung dieser Takte erfolgte später.
Variante f (T. 132f–133f)
Im Zuge von Revisionen überarbeitet Beethoven die Takte 132E–133E erneut.
Aufgrund von Platzmangel weicht er dazu auf S. 17, die erste Leerseite nach
dem Satzende, aus. Der Versuch (Variante f), bei dem Beethoven übrigens in
der rechten Hand mit Ausnahme der vorletzten Note zu Variante a zurückkehrt,
bricht nach nicht ganz zwei Takten ab. Zwar skizziert er in T. 133f noch die
rechte Hand in den Tonhöhen, nicht aber in der Rhythmik. Die linke Hand
bleibt gänzlich unausgeführt. Auch Zählzeit 3 und 4 von T. 132f sind in der
linken Hand nur skizziert, da die Sechzehntel-Balken noch nicht vorhanden
sind.
Variante G (T. 132G–134G)
Den Takt 132f übernimmt Beethoven in die nächste Variante G, vervollständigt
nun aber die Rhythmik in der linken Hand (T. 132G). Diese Variante umfasst
insgesamt drei Takte, ist also um einen Takt länger als die für kurze Zeit
gültige Variante E.
Variante H (T. 132H–134H)
In einer letzten Variante H ändert Beethoven die Tonhöhen einzelner Noten in
T. 133 und 134. H stellt die letzte gültige Variante dar.
Der jeweils letzte Takt in den Varianten E, G und H ist bis auf geringe
Unterschiede gleich (T. 133E, 134G und 134H). Aufgrund verschiedener
Akkordbrechung braucht es in Variante E einen Takt (T. 132E), in Variante G
und H zwei Takte (T. 132G/H–133G/H), um die zwei Oktaven hin zum Anfangston
von T. 133E bzw. 134G/H zu durchschreiten.
Sonstige Anmerkungen
Die Bleistiftnotate von Beethoven auf S. 17 entstanden von der
Variantenstelle unabhängig zu einem späteren Zeitpunkt – vermutlich in
Zusammenhang mit einer Rücksprache mit dem Kopisten Wenzel Rampl, von dem
der Satz „soll ich in der hohe schreiben“ stammt.